14.03.2024 | Stefanie Kunze, Vitaly Matusov
Der Bundesgerichtshof hat mit seinem Ende Januar dieses Jahres veröffentlichten Urteil vom 05.12.2023, Az.: KRZ 101/20, wichtige Feststellungen für die Wegenutzungsverträge in der Fernwärmeversorgung getroffen. Mit unserem heutigen Rundschreiben informieren wir Sie über die Hintergründe und wesentliche Schlussfolgerungen aus diesem Urteil.
Ursprung des Urteils ist ein Rechtsstreit zwischen der Landeshauptstadt Stuttgart und der EnBW Energie Baden-Württemberg AG (EnBW). Der zwischen den Parteien geschlossene befristete Gestattungsvertrag (auch als „Wegenutzungsvertrag“ bezeichnet) über den Aufbau und den Betrieb eines Fernwärmenetzes in der Landeshauptstadt Stuttgart war am 31.12.2013 ausgelaufen. Während der Vertragslaufzeit hatte EnBW erheblich in das größtenteils in oder auf Grundstücken der Stadt befindliche Fernwärmenetz investiert und es auf 218 km ausgebaut. Der Gestattungsvertrag enthielt allerdings keine Endschaftsklausel, so dass unklar war, wer nach Vertragsende Eigentümer des Fernwärmenetzes werden sollte oder wie mit den verlegten Fernwärmeleitungen umgegangen werden soll.
Bereits im Jahr 2012 initiierte die Landeshauptstadt Stuttgart ein transparentes und diskriminierungsfreies Auswahlverfahren zur Vergabe der Wegenutzungsrechte. Die EnBW und sieben weitere Unternehmen haben ihr Interesse bekundet. Dieses Verfahren wurde im Jahr 2013 jedoch ausgesetzt. Im Jahr 2016 beschloss die Stadt, zunächst von der EnBW die Übertragung des Eigentums am Fernwärmenetz zu verlangen. Ihre Aufforderung an die EnBW wurde jedoch abgelehnt. Die EnBW verlangte wiederum den Abschluss eines neuen Gestattungsvertrages.
Der BGH stellte fest, dass die Landeshauptstadt Stuttgart nicht zum Abschluss eines erneuten Gestattungsvertrags mit der EnBW verpflichtet sei. Die Stadt verfüge zwar aufgrund ihres Eigentums an den öffentlichen Wegen über ein auf das Stadtgebiet beschränktes Monopol, ein Anspruch auf Einräumung von Nutzungsrechten hätte die EnBW jedoch nur dann gehabt, wenn der Bau paralleler Netzinfrastrukturen durch sämtliche Interessenten neben dem bereits bestehenden Fernwärmenetz möglich wäre.
Da einem derartigen Wettbewerb jedoch hohe Marktzutrittsschranken und wirtschaftliche Hindernisse entgegenstehen, betrachtet der BGH ein bestehendes Fernwärmenetz auch in der Regel als ein natürliches Monopol.
Zudem betonte der BGH, dass der Gestattungsvertrag ohnehin nur befristet geschlossen wurde und es der Stadt nicht verwehrt werden könne, einen Wettbewerb um das Fernwärmenetz zu organisieren, um wettbewerbliche Nachteile, die mit einem Leitungsmonopol verbunden sind, zumindest teilweise zu kompensieren.
Ob eine Verpflichtung einer Kommune besteht, ein Auswahlverfahren zur Vergabe der Wegenutzungsrechte für Fernwärmeleitungen auch tatsächlich durchzuführen, hat der BGH jedoch ausdrücklich offengelassen.
Des Weiteren hat der BGH ausgeführt, dass die Landehauptstadt mit Auslaufen des Gestattungsvertrages kein Eigentum an den verlegten Fernwärmeleitungen erworben hat. Ein derartiger Eigentumsübergang hätte nur mithilfe eines Rechtsgeschäfts stattfinden können, für das es vorliegend an einer entsprechenden Willenserklärung des Eigentümers mangelt. Auch durch Vertragsauslegung lässt sich kein dahingehender hypothetischer Wille der Vertragsparteien ermitteln, zumal nach wie vor die Möglichkeit besteht, dass die EnBW nach Fortsetzung des Auswahlverfahrens den Zuschlag für die Erhält und die Netzanlagen damit in Zukunft selbst betreiben kann. Der BGH geht davon aus, dass es Wille der Vertragsparteien war, die Fernwärmeleitungen lediglich als zu einem vorübergehenden Zweck mit dem Grund und Boden zu verbinden und damit als Scheinbestandteil der jeweiligen Grundstücke zu betrachten, was keinen Eigentumsübergang mit sich bringt.
Vor dem Hintergrund des von der Landeshauptstadt eingeleiteten und noch nicht formell abgeschlossenen transparenten und diskriminierungsfreien Auswahlverfahrens besteht laut BGH auch kein vertraglicher Anspruch auf Eigentumsverschaffung.
Nach dem Grundsatz von Treu und Glauben widerspricht ein solcher Übereignungsanspruch der Landeshauptstadt laut BGH dem hypothetischen Willen redlicher Vertragsparteien, wenn nicht feststeht, wer zukünftig das Fernwärmenetz betreibt. Zwischen- bzw. Kettenübereignungen sind laut BGH zu vermeiden, weil sie mit erheblichen Transaktionskosten verbunden sind.
Darüber hinaus hat der BGH auch einen Anspruch der Landeshauptstadt Stuttgart auf Beseitigung der verlegten Fernwärmeleitungen im Ergebnis abgelehnt. Er hat zwar dargelegt, dass die Netzleitungen das Grundstückseigentum der Landeshauptstadt beeinträchtigen, jedoch hat die Stadt dies bereits aus Eigeninteresse zu dulden, da das Fernwärmenetz auch in Zukunft weiterbetrieben werden soll. Außerdem sei nicht ausgeschlossen, dass die EnBW nach Obsiegen im Verfahren zur Vergabe der Wegenutzungsrechte, das Fernwärmenetz weiterbetreibt. Dies gelte sogar für bereits stillgelegte Leitungen, weil sie Netzbestandteil seien.
Bei Fragen zur vorgenannten Rechtsprechung oder allgemein zur Fernwärmelieferungen stehen wir Ihnen gerne zur Verfügung.
i.A. Stefanie Kunze i.A. Vitaly Matusov
Stefanie Kunze
Rechtsanwältin
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Vitaly Matusov
Rechtsanwalt
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