20.06.2023 | Vitaly Matusov
Mit Inkrafttreten des Gesetzes zum Neustart der Digitalisierung der Energiewende am 27. Mai 2023 sind u.a. das Messstellenbetriebsgesetz (MsbG), das Energiewirtschaftsgesetz (EnWG) und das Erneuerbare-Energien-Gesetz (EEG) angepasst worden.
Wir informieren Sie über die wesentlichen Änderungen dieser Gesetze:
Die für den Start des Rollouts der intelligenten Messsysteme (iMS) früher erforderlichen Marktanalyse und Markterklärung des Bundesamts für Sicherheit in der Informationstechnik (BSI) sind im novellierten MsbG nicht mehr vorhanden.
Ein grundzuständiger Messstellenbetreiber (gMSB) kann gemäß § 31 MsbG mit dem sogenannten agilen bzw. freiwilligen Rollout der iMS für Verbraucher bis 100.000 kWh/Jahr und Erzeuger ab 7 bis 25 kW installierter Leistung in Niederspannung unverzüglich beginnen. Voraussetzung dafür ist, dass spätestens ab 2025 folgende Anwendungen nach einem Update von ihm zur Verfügung gestellt werden können:
- Protokollierung im Sinne von § 21 Absatz 1 Nummer 1 MsbG,
- Fernsteuerbarkeit im Sinne von § 21 Absatz 1 Nummer 1 Buchstabe c MsbG oder
- Anwendungen zur Übermittlung von Stammdaten im Sinne von § 21 Absatz 1 Nummer 6 MsbG.
Den für den grundzuständigen Messstellenbetreiber zeitlich verbindlichen Rollout-Fahrplan für unterschiedliche Einbaufallgruppen findet man in § 45 MsbG. Das BMWK ist gleichwohl ermächtigt, die Einbaufristen für einzelne oder mehrere Einbaufallgruppen um höchstens zwei Jahre per Verordnung anzupassen.
Der für die gMSB verpflichtende iMS-Rollout beginnt
- bei Verbrauchern ab 6.000 bis 100.000 kWh/Jahr und Erzeuger von 7 bis 100 kW installierter Leistung ab 2025 [Mindestziele: 20 % bis Ende 2025, 50 % bis Ende 2028 und 95 % bis Ende 2030 aller jeweils auszustattenden Messstellen].
- Bei Verbrauchern über 100.000 kWh/Jahr und Erzeuger über 100 kW installierter Leistung ab 2028 [Mindestziele: 20 % bis Ende 2028, 50 % bis Ende 2030 und 95 % bis Ende 2032 aller jeweils auszustattenden Messstellen].
- Bei Zielverfehlung kann die BNetzA Aufsichtsmaßnahmen nach § 76 MsbG ergreifen.
Die Preisobergrenzen für die Messentgelte bleiben zunächst fast unverändert bestehen. Das BMWK ist jedoch gemäß § 33 Absatz 1 Nr. 1 MsbG ermächtigt worden, einzelne oder alle Preisobergrenzen nach den §§ 30, 32 und 35 MsbG anzupassen, aufzuheben oder neue Preisobergrenzen festzulegen. Außerdem ist das BMWK gemäß § 48 Absatz 1 Nr. 3 MsbG verpflichtet, spätestens zum 30. Juni 2024 und sodann mindestens alle vier Jahre eine Analyse zur Höhe und Ausgestaltung der Preisobergrenzen vorzulegen („Kosten-Nutzen-Analyse“). Die aktuell geltenden Preisobergrenzen sind auf der Grundlage der Kosten-Nutzen-Analyse aus dem Jahr 2013 gebildet worden. Es ist deshalb möglich, dass im nächsten Jahr die Kosten-Nutzen-Analyse zum Ergebnis kommt, dass die bisherigen Preisobergrenzen nicht auskömmlich und damit nicht mehr wirtschaftlich vertretbar im Sinne von § 30 MsbG sind. Wir rechnen deshalb damit, dass zum Start des verpflichtenden Rollouts der iMS im Jahr 2025 die Preisobergrenzen erhöht werden.
Neu für den gMSB uns sogar für den wettbewerblichen Messstellenbetreiber (wMSB) ist, dass das Messstellenbetriebsentgelt in zwei ungleiche Teile auf zwei Schuldner aufgeteilt wird. Neben dem Messstellennutzer (z.B. Lieferant oder Anschlussnutzer) schuldet zukünftig auch der jeweils örtlich zuständige Stromnetzbetreiber („Anschlussnetzbetreiber“) einen Teil des Entgelts. Bei Messstellen mit einem Jahresverbrauch bis 20.000 kWh und Erzeugungsanlagen ab 7 kW bis 25 kW installierter Leistung schuldet der Anschlussnetzbetreiber dabei den überwiegenden Anteil des Entgelts. Achtung, diese Schuld des Netzbetreibers besteht auch gegenüber einem wMSB.
Beispiel: Bei einem Verbraucher über 6000 kWh beträgt die POG 100 €.
- Der Anteil des Kunden beträgt 20 €*
- Der Anteil des Anschlussnetzbetreibers beträgt 80 €
*Der wMSB darf gegenüber seinem Kunden höhere Preise vereinbaren.
Ob die vom Anschlussnetzbetreiber gezahlten Entgelte als Kosten im Rahmen der Kostenprüfung durch die Regulierungsbehörde anerkannt werden dürfen, ist noch in einer Festlegung der Bundesnetzagentur (BNetzA) zu regeln.
Laut einer aktuellen Mitteilung der BNetzA sind die neuen Regelungen zu Preisobergrenzen und zur Kostenverteilung gemäß § 7 Absatz 1 Satz 2 erst ab dem 1. Januar 2024 anzuwenden. In der Branche ist zuletzt diskutiert worden, wie § 7 Absatz 1 Satz 2 MsbG auszulegen sei. Nach dem Wortlaut der Norm sind nur auf die vor dem 27. Mai 2023 entstandenen Messentgelte die neuen Regelungen zu Preisobergrenzen und Kostenverteilung erst ab 2024 anzuwenden. Bei einer solchen engen Auslegung der Norm hätte man die Messentgelte sowohl nach dem alten als auch bereits nach dem neuen System bis Jahresende abrechnen müssen. Die Anwendung von zwei parallelen Systemen hätte erhebliche Aufwendungen zur Folge und wäre faktisch, wenn überhaupt, erst zum Jahresende umsetzbar. Die Äußerung der BNetzA ist zwar rechtlich unverbindlich, das Haftungsrisiko der Messstellenbetreiber bei der Anwendung des neuen Systems auf alle Messentgelte zum 1. Januar 2024 ist gleichwohl als gering einzustufen.
Außerdem fehlen noch die erforderlichen Marktkommunikationsregeln. Die BNetzA beabsichtigt deshalb, die Prozessentwürfe in Form einer Nachkonsultation zum laufenden BNetzA-Festlegungsverfahren zum Lieferantenwechsel in 24 Stunden zur Konsultation zu stellen. Weiterhin ist geplant, die erforderlichen Anpassungen der Datenformate und der Entscheidungsbaumdiagramme im Rahmen der anstehenden Konsultation zu den Datenformaten und Entscheidungsbaumdiagrammen im August 2023 zu konsultieren.
Verpflichtende Zusatzleistungen:
Außerdem haben Energieversorgungsunternehmen, Direktvermarktungsunternehmer, Letztverbraucher, Anschlussbegehrende nach dem Erneuerbare-Energien-Gesetz, Anlagenbetreiber und Anschlussnehmer einen gesetzlichen Anspruch erhalten, vom Messstellenbetreiber gesetzlich definierte Zusatzleistungen gemäß § 34 Absatz 2 MsbG zu verlangen. Hervorzuheben ist der Einbau von iMS ab 2025 auf Verlangen von o.g. Marktakteuren. Demnach hat der Messstellenbetreiber Messstellen mit einem iMS innerhalb von vier Monaten ab Beauftragung auszustatten. Diese Pflicht gilt sogar für nicht vom Pflichtrollout erfassten Messstellen sowie Messstellen an nicht bilanzierungsrelevanten Unterzählpunkten innerhalb von Kundenanlagen, z.B. bei sogenannten Mieterstrommodellen.
1: n-Metering
Neu ist zudem die Möglichkeit, gemäß § 21 Absatz 3 MsbG mehrere Zählpunkte von unterschiedlichen Kunden an ein Smart-Meter-Gateway am Netzanschlusspunkt in räumlicher Nähe einer Liegenschaft anzuschließen, soweit und solange die gleichen Funktions- und Sicherheitsanforderungen wie bei der Bündelung der Zählpunkte an einem Netzanschluss gewährleistet sind. Als räumlicher Nahbereich einer Liegenschaft gelten dabei auch Zählpunkte an mehreren Netzanschlüssen im Bereich desselben Netzknotens gleicher Spannungsebene. Die jeweilige Preisobergrenze pro iMS bleibt hiervon unberührt.
Neue Marktrolle: Der Auffangmessstellenbetreiber gemäß § 11 Absatz 3 MsbG
Fällt der gMSB aus, zum Beispiel, weil er nicht mehr über die erforderliche Genehmigung oder Zertifikate verfügt, muss der Auffangmessstellenbetreiber für ihn einspringen. Er wird dreistufig bestimmt:
- Stufe 1: Zunächst hat der den Messstellenbetreiber mit den meisten iMS im jeweiligen Bundesland (mind. 10.0000) als Auffangmessstellenbetreiber den Messstellenbetrieb zu übernehmen.
- Ist er dazu nicht bereit, kommt der Messstellenbetreiber mit meisten iMS im Bundesgebiet (freiwillig –Stufe 2) oder per Gesetz (Stufe 3) zum Zuge.
Sechs Monate nach Übernahme des Notbetriebs geht die Grundzuständigkeit für das jeweilige Netzgebiet mit allen Rechten und Pflichten auf den Auffangmessstellenbetreiber über.
Eine weitere Neuerung ist das in § 3 (3a) MsbG eingeführte Selbstvornahmerecht des Anschlussnehmers. Die Regelung ist vor dem Hintergrund der Verzögerung der Inbetriebnahme von Erzeugungsanlagen aufgrund einer zu langen Dauer der Zählersetzung entstanden. Demnach ist der gMSB verpflichtet, einer Änderung oder Ergänzung einer Messeinrichtung am Niederspannungsnetz spätestens innerhalb eines Monats nach Aufforderung durch den Anschlussnehmer oder Anschlussnutzer nachzukommen. Kommt er sechs Wochen lang dem Änderungsbegehren nicht oder nicht vollständig nach, ist der Anschlussnehmer (unter Einhaltung der für den Messstellenbetrieb geltenden allgemein anerkannten Regeln der Technik) zur Durchführung (durch einen fachkundigen Dritten) auf eigene Kosten berechtigt. Das Selbstvornahmerecht besteht aber nicht, sofern ein Smart-Meter-Gateway bereits Bestandteil der betroffenen Messstelle ist.
Bitte beachten Sie außerdem eine neue Informationspflicht: Spätestens zum 31. Oktober eines jeden Jahres haben grundzuständige Messstellenbetreiber Informationen zum Umfang ihrer Rolloutpflichten, ihren Standard-/Zusatzleistungen und zu voraussichtlochen Preisen für mindestens drei Jahre zu veröffentlichen.
Ein „virtuelles Summenzählermodell“ gemäß § 20 Absatz 1d) Satz 2 EnWG ist ab sofort zulässig, soweit und solange alle Messeinrichtungen, deren Werte in die Saldierung eingehen, mit iMS ausgestattet sind.
Gemäß § 41a Abs. 2 EnWG müssen alle Lieferanten ab 2025 für Letztverbraucher, die über ein iMS verfügen, verpflichtend dynamische Stromtarife anbieten. Dynamische Tarife spiegeln Preisschwankungen entsprechend der Kurzfristmärkte in Intervallen wider, die mindestens den Abrechnungsintervallen des jeweiligen Marktes entsprechen (§ 3 Nr. 31b EnWG).
Ab jetzt darf auch der Anschlussnehmer Vereinbarungen zur Steuerung steuerbarer Verbrauchseinrichtungen gemäß § 14a Absatz 1 Satz 1 EnWG mit dem Netzbetreiber abschließen.
Die wesentlichen Änderungen des EEG betreffen § 9 (Technische Vorgaben) und beinhalten im Wesentlichen Erleichterungen für den Fall des neuen agilen Rollouts der iMS.
Vitaly Matusov
Rechtsanwalt
vitaly.matusov@rhenag-legal.de